Das Las-Vegas-Sign bei Nacht. Leuchtreklame für eine der künstlichsten Städte der Welt.
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Las Vegas – Das Disneyland des Touristen

Vielleicht liegt es daran, dass ich über die Stadt schon sehr viel gehört und gelesen hatte: An meinen Aufenthalt in Las Vegas erinnere ich mich noch besonders gut, beginnend mit der dramatisch anmutenden Ankunft auf dem Las Vegas Boulevard und meiner sofortigen Faszination mit der Stadt. Entweder man liebt es oder man hasst es. Das ist zumindest das, was über Las Vegas so gemeinhin zu hören ist. Bei mir war es Liebe auf den ersten Blick. Ich war fasziniert von dieser Stadt, vom ersten Moment, in dem ich die Stadtgrenze übertreten, beziehungsweise überfahren hatte. Moderne Architektur fesselt mich und ich betrachte Künstlichkeit als eine Art von Kunst. Oder, um es mit anderen Worten zu sagen, ich suchte in Las Vegas nicht nach Authentizität. Dennoch fand ich sie. Aber fangen wir von vorne an…

Das Spielerparadies in der Wüste von Nevada ist auf seine ganz eigene Art und weise sehr authentisch. Auch wenn viele ihrer berühmtesten Gebäude Nachbildungen – oder wie ich sagen würde – Hommagen an Sehenswürdigkeiten auf der ganzen Welt sind, ist die Stadt einzigartig. Die Pyramiden Ägyptens finden sich im Luxor wieder, das venezianische Kanalsystem ist im Venetian zu besichtigen, die Freiheitsstatue überwacht den Strip von ihrer Position vor dem New York, New York, das Excalibur ist ein mittelalterliches Märchenschloss in Comic-Optik, das Caesar’s Palace eine Hommage an das Alte Rom. Gemischt mit der Liebe zur Architektur und Gebäuden, die hauptsächlich zum Protzen gebaut wurden sowie einem Hauch von 60er-Jahre-Nostalgie ist dort etwas entstanden, das es so auf der Welt nirgendwo anders gibt: Vegas.

Zu allen Zeiten haben Menschen Nachbauten errichtet oder Orte nach bereits bekannten Plätzen benannt. Architektonisch betrachtet sind etwa der Klassizismus oder der Historizismus Ausdrücke dieses Strebens. So gut wie alle bekannten Gebäude in Washington, D.C. muten an römische oder griechische Bauten an. Venice Beach im Großraum Las Vegas hat seinen Namen weil das dem Meer abgewandte Kanalsystem an das von Venedig erinnert. Die frühen amerikanischen Immigranten benannten ihre Kolonien häufig nach Städten, die sie aus Europa kannten. In dieser Tradition ist Las Vegas die Fortsetzung von jahrhundertealter Geschichte.

Viele Kritiker werfen der Stadt zu Unrecht vor, sie bediene sich nur an bereits Vorhandenem ohne einen Mehrwert zu schaffen. Zu behaupten, man brauche die Welt nicht bereisen, wenn man auch nach Las Vegas reisen könne, ist sarkastisch. Doch so ironisch diese Behauptung ist, ein wenig Wahrheit liegt auch darin. Ein Großteil der amerikanischen Bevölkerung hat noch nie einen anderen Kontinent besucht, viele haben nicht einmal die Landesgrenzen verlassen. Mehr als 60 Prozent besitzen keinen Reisepass – freundlich geschätzt. Es gibt Berechnungen, die von mehr als 80 Prozent sprechen. Dafür kennen sie ihr eigenes Land sehr gut. Die schiere Größe der Vereinigten Staaten und die immensen Distanzen, die ohne Grenzübergang zurückgelegt werden können, schmälern den Willen zum Reisen ins Ausland. Das ist aus amerikanischer Perspektive teuer und langwierig, zumindest wenn es nicht nach Kanada oder Mexiko geht. Es ist schon ein gewaltiger Unterschied, ob es drei Stunden dauert, nach Ägypten zu fliegen, oder zehn. Für viele dauert die Anreise damit nämlich länger als der Zeitraum, in dem man sich am Ende mit der Sehenswürdigkeit selbst beschäftigt. Und warum sollte man die Strapazen einer solchen Reise auf sich nehmen wenn doch ein so riesiges Land vor den eigenen Füßen liegt?

Las Vegas hat eine Antwort auf diese Frage gegeben, indem es eine Reihe von schlecht erreichbaren touristischen Symbolen nachgebildet und zum Konsum freigegeben hat. Das ist nur legitim. Und mehr noch: Es ist davon auszugehen, dass jeder Besucher der Wüstenstadt sehr wohl weiß, dass er lediglich Duplikate vor Augen hat. Denn Las Vegas tut nicht so, als sei es authentisch. Die Stadt ist, mit einer guten Portion Humor betrachtet, ein Museum, das bestimmte Teile der Welt ausstellt und seine Besucher mit dem Versprechen von Spaß und Reichtum lockt. Las Vegas gibt sich weltgewandt. Wer es besucht, ist für die Zeit des Aufenthalts ein Weltbürger.

Die Chance, tatsächlich genug Geld für die echte Weltreise zu gewinnen, ist zwar gering, doch sie ist vorhanden. Touristen, die die Grenzen ihres eigenen Landes nie übertreten, können hier in eine andere Welt abtauchen und die Welt bewohnen – in Ägypten ist es schließlich nicht möglich, in den Pyramiden zu schlafen. Es klingt paradox, doch diese Stadt, die berühmt ist für ihre Kopien, und in der der schnelle Spaß als einzige Tätigkeit ganz oben auf der Liste steht, ist authentischer als viele denken. Weil es ein komplett künstliches Refugium für spaßsuchende Reisende ist.

Als ich an unserem ersten Abend in der Stadt gemeinsam mit meinem Freund den Las Vegas-Boulevard entlang schlenderte, fühlten wir uns auch nicht wesentlich anders als in einem Freizeitpark. An jeder Ecke gab es eine neue Show zu entdecken, alle paar Meter wurden unsere Sinne von etwas anderem abgelenkt. Auf der Suche nach Spaß und Action streiften wir durch die Hotels und ihre Spielhallen, warfen staunende Blicke in die Auslagen teurer Designer-Boutiquen im Caesar’s Palace und sahen uns gemeinsam mit hunderten anderer Besucher die Wasser- und Lichtshow vor dem Bellagio an. Wir lachten über die „Kanäle“ im Venetian und die „echten“ Gondeln, die auf ihnen fuhren, und schauten uns den Eiffelturm des Paris Las Vegas an – dessen Original ich im Übrigen bis dahin nie gesehen hatte.

Die Kulturforschung belegt, dass die Wahrnehmung von Symbolen sich ändert, wenn diese in einem anderen Kontext wahrgenommen werden – sieht man die Dinge zuerst in der „falschen“ Umgebung, so wird diese als originär angenommen. Als ich den Eiffelturm einige Zeit später in echt sah, war ich ein wenig enttäuscht. Vielleicht liegt das daran, dass ich seinen glitzernden kleinen Bruder zum Maßstab nahm. Oder vielleicht lag es auch daran, dass ich ihn schon tausende Male auf Fotos und Postkarten gesehen hatte.

Wie der amerikanische Eiffelturm sind auch die anderen Symbole, die den Strip säumen, touristische Symbole. Sie wurden geschaffen, um konsumiert zu werden, um die Verarbeitung der Fremde zu erleichtern indem etwas Bekanntes rekonstruiert wird. Sehenswürdigkeiten sind Symbole. Bestimmte Orte können Symbolcharakter erlangen. Las Vegas wiederum ist ein Symbol des symbolischen. Wäre der Besucher nicht abgelenkt vom steten Gedudel der Spielautomaten, er könnte sich leicht in dieser Scheinwelt verlieren. Das Glücksspiel holt ihn zurück in die Realität: Denn das ist (mit wenigen Ausnahmen) in den Vereinigten Staaten schließlich nur in Las Vegas erlaubt.

Wir spielten übrigens nicht an diesem ersten Abend in der Stadt. Keiner von uns spielt Karten und uns von Profispielern abzocken zu lassen klang nicht gerade nach Unterhaltung. Den ganzen Spaß wollten wir uns aber dann doch nicht nehmen lassen. Einen Tag später versuchte ich mein Glück an einem einarmigen Banditen und gewann 70 Dollar mit dem ersten Ein-Dollar-Schein, den ich in die Maschine steckte. Ich konnte mein Glück kaum fassen, hörte sofort auf zu spielen und lud S. auf einen Drink ein. Und so sah eigentlich unser gesamter Aufenthalt in Vegas aus. Wir lagen meist faul in der Sonne, sprangen ab und an in den Pool und tranken ein paar kühle Getränke im Wasser. Nach drei Tagen verließen wir die Stadt wieder. Weil wir sie zwar lieben gelernt hatten, weil aber auch alles, das niemals endet, irgendwann langweilig wird. Auch eine endlose Party. Und wir verließen die Stadt, weil es auf der Welt noch so viel mehr zu sehen gibt.

In Kategorie: Nevada, Reisegeschichten

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Anna liebt das Geräusch von Regen auf einem Zeltdach, Gespräche am Lagerfeuer und Nordamerika. Sie würde einen spontanen Roadtrip jederzeit einem Tag am Pool vorziehen und ist am liebsten draußen - zum Wandern, Surfen oder Snowboarden.

2 Kommentare

  1. Hallo Anna,
    Du hast für Deine Betrachtung von Las Vegas einen interessanten Ansatz gewählt. Die Argumentation finde ich auch nachvollziehbar, aber bei den Pyramiden, Venedig, etc. von „Kopien“ zu sprechen, die eine Alternative zum Besuch der Originale darstellen, geht dann meiner Meinung nach doch etwas zu weit 🙂 Ich würde eher sagen es handelt sich um „Interpretationen“ der Originale im Stil von Las Vegas. Doch das macht sie natürlich nicht weniger sehenswert 🙂 Ich stimme Dir also insgesamt zu, denn Las Vegas hat mir auch gut gefallen.
    LG
    Stefan

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