Amsterdam ist eine riesige Ansammlung von wunderbaren Klischees. Grachten, Fahrräder, Blumen, Käse – hier bündelt sich, für was die Niederlande bekannt sind. Und dennoch ist Amsterdam ein liebenswürdiges, gemütliches Städtchen. Selbst seine Laster sind attraktiv: Rotlichtviertel und Coffeeshops locken Touristen und Einheimische gleichermaßen. Pommes, Kroketten und Frikandel lassen Einwohnern wie Besuchern das Wasser im Mund zusammen laufen: Frittierfett heißt die wenig tugendhafte Allzweckwaffe der holländischen Fast-Food-Küche. Ich habe mich ein Wochenende lang in Amsterdam umgesehen und hinter die Fassade der Stadt geschaut um herauszufinden, was es eigentlich auf sich hat mit den Klischees.
Amsterdam-Klischee #1: Fietsen. Das beste Fortbewegungsmittel ist das Rad.
Es soll in Amsterdam mehr Fahrräder geben als Einwohner – Schätzungen zufolge etwa 881.000. Die Einwohnerzahl liegt derzeit bei um die 800.000. Mehr als die Hälfte der Amsterdamer nutzt das fiets, niederländisch für Fahrrad, täglich.
Eine gute Idee, schließlich eignet die Stadt sich – abgesehen von den unübersichtlichen Stellen, die sich mit Straßenbahngleisen überschneiden, hervorragend zum Radeln. Es gibt so gut wie keine Steigungen – mal abgesehen von den Brücken, die über die Grachten führen – und das Radwegenetz ist hervorragend ausgebaut: Es umfasst 767 Kilometer.
Fahrräder haben nicht nur immer Vorfahrt, es gibt an den Bahnhöfen sogar überdachte Fahrrad-Parkhäuser. Klingt toll? Ist es auch, und das findet sogar König Willem Alexander der Niederlande. Er und seine Familie wurden – ganz volksnah – in Amsterdam schon des Öfteren auf dem Rad gesichtet.
Das häufig anzutreffende Hollandrad hat maximal drei Gänge und eine Rücktrittbremse, und häufig kommt es ganz ohne zusätzliche Vorderbremse aus. Das ist gewöhnungsbedürftig, vor allem beim Halten an Ampeln. Das durchschnittliche fiets ist alt, es knarzt beim lenken und der Lack splittert hier und da ab. Dafür hat es mitunter besondere Extras. Beiwagen aus Holz etwa, Marke Eigenbau, die vor den Lenker gespannt werden und Kinder, Einkäufe oder Hausrat transportieren.
Einen Tag lang bin ich mit dem Rad durch Amsterdam gefahren. Ein königliches Gefühl. Und mit Sicherheit die schnellste und komfortabelste Möglichkeit, um Amsterdam zu erkunden.
Amsterdam-Klischee #2: Bloemen. Farbe für die Stadt
Für ihre Blumen sind die Niederlande schon seit Jahrhunderten berühmt – insbesondere für die Tulpenproduktion. Seit dem 16. Jahrhundert werden die Pflanzen in Holland kultiviert und zwischenzeitlich waren ihre Zwiebeln sogar Spekulationsobjekte an der Börse. Zehn Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche der Niederlande wird heute noch für den Anbau von Schnittblumen genutzt – schon lange sind es nicht mehr nur Tulpen. Und die sind nicht nur Exportgut, sondern finden sich natürlich auch in den Straßen von Amsterdam.
Der berühmteste Blumenmarkt der Stadt auf dem Singel-Kanal hat täglich geöffnet. Ursprünglich kamen die Blumen per Boot auf dem schwimmenden Markt in der innersten und ältesten Gracht der Stadt an, heute werden sie per LKW geliefert. Der Markt selbst hat sich längst auf die umliegenden Straßen und Plätze ausgeweitet. Er ist Touristenattraktion und Treffpunkt zugleich.
Die Verlockung, hier etwas zu kaufen ist groß. Für Kurzurlauber wie mich lohnt sich der Kauf meist leider nicht. Denn: Wohin mit den Blumen auf der Rückreise? Bleibt nur, den Duft und die Farben der unzähligen bunten Blüten bei einem Spaziergang zu genießen.
Amsterdam-Klischee #3: Grachten. Die leben doch alle in winzigen Häusern und auf Booten
Die Grachten Amsterdams und die typischen, schmalen Häuser zu ihren Seiten prägen das alte Amsterdamer Stadtbild. Hier verschwimmen die Grenzen zwischen Privatsphäre und öffentlichem Raum. Zwar spielt das Leben sich nicht hauptsächlich draußen ab – dafür ist das Wetter in den Niederlanden zu unbeständig.
Dennoch sind die kleinen Wohnungen und Hausboote nach außen geöffnet – mindestens im übertragenen Sinne. Große, größtenteils unverhängte Fenster ermöglichen den Einblick in das Innenleben von Amsterdam – einen Einblick in Wohnungen mit lichtdurchfluteten Räumen, liebevoll, modern und minimalistisch eingerichtet und gar nicht so klein wie man von außen vermuten würde. Schon im 18. Jahrhundert waren hier reiche Kaufleute angesiedelt, die gerne zeigten, was sie hatten, und ihre Häuser dementsprechend errichteten.
Bei gutem Wetter stehen Fenster und Türen zur Straße hin offen und die heutigen Bewohner der Grachten setzen sich vor ihre Häuser auf Treppen oder den Bürgersteig um die Sonnenstrahlen zu genießen.
Der vierzügige Grachtengürtel begrenzt Amsterdams Innenstadt. Anfang des 17. Jahrhunderts war er Teil eines Plans zur Erweiterung der rasant wachsenden Stadt und diente nicht nur als Verteidigungsgraben und Warentransportweg, sondern auch als offene, häufig unappetitliche Kloake. Frischwasser kam durch die Gezeiten und durch Schleusen in die Stadt. Bis man sich irgendwann entschied, ein Abwassersystem zu errichten.
Heute verkehren auf Herren-, Keizers- und Prinsengracht sowie Singel hauptsächlich Touristenboote. Hausboote ankern an verschiedenen Orten. Die Hauptgrachten sind durch insgesamt gut 160 kleine Kanäle verbunden, über die sich 1300 Brücken spannen.
An den Ufern dürfen ausschließlich Ulmen angepflanzt werden, denn deren Wurzeln wachsen nur in die Tiefe und können somit den Grachtenmauern nicht schaden.
Eine wahre Herausforderung ist es, zwischen diesen Bäumen an den Mauern mit dem Auto einzuparken. Vielleicht auch ein Grund, warum das Fahrrad ein so beliebtes Fortbewegungsmittel ist, in Amsterdam.
Vielen Dank an GoEuro und IAmsterdam für die Unterstützung meiner Reise.