Heimweh und Fernweh
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Heimweh ist schlimmer als Fernweh

Fernweh, n:
Sehnsucht nach Orten, die man gar nicht kennt.

Symptome: Lässt deine Fantasie mit dir durchgehen und bringt dich zum Träumen. Schleicht sich von hinten an, etwa wenn du an eine mögliche Reise denkst, das sommerliche Flimmern am Horizont siehst oder ein Flugzeug am knallblauen Himmel. Kann chronisch werden.

Es gibt schlimmeres als Fernweh. Heimweh zum Beispiel. Aber sowohl Heimweh als auch Fernweh haben meist nur wenig mit der tatsächlichen Entfernung zu einem Ort zu tun. Emotionale und tatsächliche Nähe zu diesem Ort stehen in keinem proportionalen Verhältnis.

Heimweh: Das erste Mal

Ich kann mich sehr genau an das erste Mal erinnern, als ich Heimweh hatte. Es war nicht nur das erste, sondern auch das vorletzte Mal. Ich war in der vierten Klasse und auf einer Klassenfahrt zum ersten Mal mehrere Nächte nacheinander von zu Hause weg. Ich hatte Geburtstag auf dieser Klassenfahrt. Meinen zehnten. Am Morgen dieses Geburtstags wachte ich auf und war nicht fröhlich, sondern sehr traurig. Obwohl ich alle meine Freunde um mich herum hatte. Obwohl sich morgens alle um mein Bett versammelt hatten und mich mit einem Geburtstagslied weckten.

Meine Laune besserte sich erst, als mich am Nachmittag mein Vater mit seinem Besuch überraschte.

Heimweh und Fernweh: Gegenspieler oder Partner?

Nach meinem zehnten Geburtstag hatte ich viele Jahre lang kein Heimweh mehr. Dieses seltsame Gefühl, irgendwo fremd zu sein und sich alleine zu fühlen, wurde nach und nach von einem anderen komischen Gefühl ersetzt: Fernweh. Fernweh ist genau so seltsam wie Heimweh. Nein, es ist seltsamer, weil es unkonkret ist. Fernweh ist das Heimweh nach Orten, die man gar nicht kennt.

Fernweh ist ein unerklärliches Bedürfnis, etwas Unbekanntes zu entdecken. Es ist unabhängig von Wetter und Jahreszeit und es ist ungemein hartnäckig. Es begleitet mich, wo immer ich bin. Es äußert sich durch kribbelnde Füße, einen verklärten Blick und einen plötzlich auftauchenden, dicken Knoten im Hals, der mir ins Ohr flüstert: „Ich gehe erst dann weg, wenn wir uns jetzt sofort in ein Abenteuer stürzen.“

Es überfällt mich, wenn ich ein tolles Foto sehe oder eine spannende Reisegeschichte lese, aber auch, wenn ich in den Himmel schaue oder den Horizont betrachte, wenn ich Schienen oder langgezogene Straßen sehe, oder ein Flugzeug beim Starten. Wer einmal mit Fernweh infiziert ist, wird nicht mehr gesund. Und es gibt nur zwei probate Mittel, die das Fernweh lindern. Das eine ist, den Drang nach der Ferne mit Reisedokumentationen zu bekämpfen. Das andere – unbedingt zu bevorzugende – ist das Reisen selbst.

Das Heimweh kommt hinterrücks

Wenn man auf Reisen lange von zu Hause weg ist, kann sich auch mal Heimweh anschleichen. Bei mir nicht. Dachte ich zumindest. Ich habe dem Heimweh viele Möglichkeiten gegeben, mich zu überrumpeln. Ich war lange und oft unterwegs und weit weg von Zuhause. In Panama, in Sri Lanka, in Australien, in den USA, in Island, in Vietnam und Thailand. In keinem dieser Länder hat es mich heimgesucht.

Doch dann erwischte mich das Heimweh vor ziemlich genau einem Monat ausgerechnet in Berlin, kaum 600 Kilometer entfernt von zu Hause.

Heimweh: Das zweite Mal

Ich kann mich sehr gut an das letzte Mal erinnern, als ich Heimweh hatte. Ich saß alleine in der Wohnung eines Freundes in Berlin. Es war der erste Frühlingstag in der Stadt. Die Sonne schien, es war zum ersten Mal in diesem Jahr warm und eigentlich war alles mehr als gut. Ich hatte Pläne für den Tag. Ich wusste, dass ich ihn nicht alleine verbringen, sondern auf der ITB viele tolle, unbekannte Menschen kennenlernen würde. Ich war seit Jahren nicht in Berlin gewesen und fand es aufregend, wieder dort zu sein. Schon Wochen vor der Reise hatte ich mich außerdem gefreut, mal wieder alleine zu reisen.

Doch an diesem Morgen, an dem ich alleine in der fremden Stadt auf einem Gästebett saß und das perfekte Wetter vor dem Fenster beobachten konnte, wollte ich nichts dringender, als umgehend meinen Rucksack zu packen und wieder nach Hause zu fahren. Ich wollte keine neuen Menschen mehr kennenlernen und niemanden mehr sehen. Ich wollte nicht raus auf die Straße. Ich wollte nur zurück in meine vertraute Umgebung und zu dem Mensch, der mir am wichtigsten ist.

Ich dachte immer, ich sei eine chronisch vom Fernweh geplagte Seele und somit seit meinem zehnten Lebensjahr immun gegen Heimweh. Aber ich war es nicht. Heimweh und Fernweh schließen sich nicht gegenseitig aus.

Ich bin natürlich nicht zurück gefahren. Es kam auch kein Überraschungsbesuch, der alles wieder gut machte. Ich habe es an diesem Morgen alleine geschafft, das Heimweh zu überwinden, indem ich mir gut zuredete und dann die Wohnung verließ, um den Tag zu genießen.

Und auch, wenn das Heimweh sich im ersten Moment nicht schön anfühlte, bin ich froh, dass es da war. Denn es zeigte mir, dass, egal wie viel ich in der Welt unterwegs bin, da immer noch ein Platz ist, den ich mein Zuhause nenne und an den ich immer wieder gerne zurück komme. Auch, wenn ich einen Großteil meiner Zeit zu Hause damit verbringe, mich an ferne Orte zu träumen.

Wann hattest du das letzte Mal Heimweh?

In Kategorie: Reisegedanken

Über den Autor

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Anna liebt das Geräusch von Regen auf einem Zeltdach, Gespräche am Lagerfeuer und Nordamerika. Sie würde einen spontanen Roadtrip jederzeit einem Tag am Pool vorziehen und ist am liebsten draußen - zum Wandern, Surfen oder Snowboarden.

7 Kommentare

  1. Das Gefühl von Fernweh und Heimweh hast du sehr schön beschrieben und ich kann es sooo gut nachvollziehen! Und man kann sogar Fernweh nach Orten haben, zu denen man trotz Globalisierung nicht einfach hinreisen kann: Die Sehnsucht, wenn man nachts hoch in den Sternenhimmel schaut und man am liebsten raus in den Weltraum reisen will weil es da draußen so viel zu entdecken gibt 🙂

    • Hallo Sabrina,

      dankeschön für das Kompliment 🙂 Das ist ja eine tolle Idee mit dem Tafellack! Ist direkt auf meine To-Do-Liste gewandert – jetzt muss ich nur noch überhaupt einen Globus finden. Ich bin schon ganz aus dem Häuschen vor Vorfreude, nächstes Wochenende muss ich wohl unbedingt auf den Flohmarkt!

      Liebe Grüße!
      Anna

  2. Ingeborg

    Hallo Anna, deine Gedanken über „Heimweh-Fernweh“ haben mich sehr berührt. Ich bin – glaube ich – kein Heimwehtyp. Vielleicht kann ich aber Fernweh und Heimweh gar nicht unterscheiden, denn: ich habe oft Heimweh nach der fernen und für mich nicht mehr erreichbaren Geburts- und Heimatstadt Berlin. Dein Artikel hat dieses Gefühl wieder hervorgerufen…. Vielleicht geht es ja anderen Menschen (und Lesern deiner Beiträge) ähnlich?

  3. Oh ja, ich bin eigentlich auch noch nie ein Heimwehtyp gewesen, war mit 16 sogar ein halbes Jahr in den USA. Aber auf unserem derzeitigen Reisejahr hat es mich mehrfach erwischt, es kam von jetzt auf gleich und war fast genau so schnell auch wieder weg, kam aber immer wieder. Deswegen freue ich mich auch, dass wir in 12 Tagen zumindest schon mal nach Europa fliegen und in 6 Wochen dann auch nach Hause!

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