Es ist sehr wichtig, die Tomate richtig herum aufzuschneiden, erklärt Ward. Ich kann das kaum glauben, doch er scheint das, was er da sagt, sehr ernst zu nehmen. Er nimmt seine Frucht vom Tisch, hält sie in das Neon-Licht, das die flackernde Röhre über unseren Köpfen ausstrahlt, und betrachtet die Schale. Das Ding ist gigantisch groß. Und er zeigt uns jetzt, wie er damit echtes katalanisches Tomatenbrot herstellt.
Die Frucht erinnert mehr an eine kleine Melone als an eine Tomate und sieht überhaupt nicht aus wie etwas, das es in einem deutschen Supermarkt zu kaufen gibt. Sie ist nicht rund. Geschweige denn rot. Um ehrlich zu sein, ich hätte so eine Tomate wahrscheinlich nie gekauft – zumindest zuhause nicht. Grüne und braune Flecken überziehen die gelblich-rote Schale, die nicht reif aussieht. Die aber reif riecht.
Man sollte nie etwas nach seiner Hülle beurteilen. Nicht nur das habe ich gelernt an diesem Abend auf einem kleinen Campingplatz in Spanien, wo ich die besten Tomaten aß, die ich je gegessen habe. Zurück zuhause würde ich oft an diesen Geschmack denken – zumindest immer dann, wenn ich versuchte, mir das Abendessen zuzubereiten, das ich an der Costa Brava lieben lernte.
Die besten Tomaten für katalanisches Tomatenbrot kommen aus dem eigenen Garten
Katalanisches Tomatenbrot ist einer der einfachsten und besten Snacks der Welt – zumindest dann, wenn er mit den richtigen Tomaten hergestellt wird. Der Art Fleischtomaten, die ihren vollen Geschmack nur dann entfalten, wenn sie reif von einer Staude in einem mit Liebe gepflegten, mediterranen Garten gepflückt werden. Die schlechte Nachricht: Solche Tomaten sind nördlich der Alpen eher nicht zu finden. Das, was hierzulande als Fleischtomate verkauft wird, beinhaltet oft mehr Wasser als Fruchtfleisch.
Spanien ist bekannt für sein Essen. Serrano-Schinken oder Manchego – alleine die Worte lassen das Wasser in meinem Mund zusammenlaufen und bringen meinen Magen zum Knurren. Spanisches Essen, das hieß für mich vor allem Tapas, Käse, Fleisch und Schinken. Doch dieser Abend im Restaurant des Campingplatzes Eco Lava in Santa Pau sollte das ändern. Nicht ganz unschuldig daran war ein gewisser Joan Masoliver Jorda, der Besitzer dieses Campingplatzes und ein leidenschaftlicher Gärtner: Er war derjenige, der uns überhaupt erst einlud, die Tomaten aus seinem Garten zu probieren. Und dann erwähnte unser Freund Ward jenes Tomatenbrot…
Ward hält die Tomate noch immer in seiner linken Hand. Die rechte sucht auf dem rustikalen Massivholztisch vor ihm nach einem Schneidemesser. „Aufgepasst“, sagt der Niederländer, der seit fünf Jahren in Spanien lebt, und ich muss bei der Dramatik, mit der er diesen simplen Akt des Tomatenschneidens behandelt, lachen. Hey, es geht doch nur um ein Stück Gemüse!
Wenn der Strunk der Nordpol ist, wird entlang des Äquators geschnitten
Ward bringt mich mit einer ungehaltenen Geste und einer halb ärgerlichen Grimasse zum Schweigen und zeigt auf den Strunk. „Ihr dürft die Tomate niemals von hier oben mittig durchschneiden; ihr müsst sie wie eine Zwiebel schneiden, horizontal.“ Sein Gesichtsausdruck ist todernst. „Wird die Tomate vertikal geschnitten, läuft das Fruchtfleisch aus und der Effekt wäre ein anderer.“ Dramatik pur. Man muss sich das etwa so vorstellen: Wenn der Strunk der Tomate der Nordpol ist, wird entlang des Äquators geschnitten.
Ward nimmt eine Hälfte der durchgeschnittenen Tomate und zeigt sie uns. Die Kerne und der Saft werden von einer dünnen Schicht Fruchtfleisch zurückgehalten.
Unsere erste Lehrstunde im Tomatenschneiden ist vorbei und wir können endlich ans Essen denken. Ein Korb mit frisch getoastetem Weißbrot steht schon auf dem Tisch, daneben Olivenöl, Balsamico, Salz und Pfeffer aus Mühlen. Joan schenkt uns aus einer Karaffe einen schweren Rotwein ein, während wir uns unsere eigenen Tomaten schnappen und nach Anleitung halbieren. Ward nimmt sein Brot, tropft Öl und Essig darauf und würzt es mit Salz und Pfeffer. Dann reibt er eine Tomatenhälfte darauf, mit dem Fruchtfleisch nach unten. Es sieht aus, als würde er eine Reibe benutzen.
Bis jetzt hatte ich unter „Tomatenbrot“ ein Brot mit in Scheiben geschnittenen Tomaten verstanden – eigentlich unnötig zu erwähnen, dass ich davon nie ein großer Freund war. Die Art von Brot, die ich nun esse, habe ich schon vorher gesehen. Mit Knoblauch darauf. Auf die Idee, andere Dinge zu verreiben, bin ich noch nie gekommen.
Ich nehme meine Tomate und zerstoße sie auf dem Brot bis nur noch die Schale übrig ist. Schon als ich meinen ersten Bissen im Mund habe, habe ich ein neues Lieblingsgericht gefunden. Katalanisches Tomatenbrot. Guten Appetit!
Katalanisches Tomatenbrot: Das Rezept
Zutaten
Weißbrot (Ciabatta ist geeignet, Toast nicht)
Reife Fleischtomaten (Ponderosa oder Costoluto gehen auch)
Olivenöl, Balsamico oder Balsamico-Creme
Salz und Pfeffer aus der Mühle
Zubereitung
Das Brot toasten bis es schön kross und ein bisschen hart, aber noch nicht schwarz geworden ist. Olivenöl und Essig großzügig darauf verteilen. Tomate wie oben im Text beschrieben halbieren (horizontal, wie eine Zwiebel), an der Schale packen und mit der offenen Seite nach unten auf dem Brot verreiben.
Nach Wunsch salzen, pfeffern und mit weiteren Zutaten belegen. Serrano-Schinken und Manchego-Käse sind hervorragend geeignet. Aber auch pur ist das Tomatenbrot ein Gedicht.
Zur Recherchereise an die Costa Brava wurde ich von Campings in Girona eingeladen.