Surferin am Old Man Canggu Bali
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Die Welle

Eigentlich sind die Wellen an diesem Tag nicht meine Liga. Sechs bis acht Fuß, sagt die Vorhersage, irgendwas um die zwei bis zweieinhalb Meter. Am frühen Morgen stehe ich mit meinem geliehenen Surfbrett am Strand und beobachte die Wellen. Die Sets kommen schnell herein, es ist noch nicht so viel los. Pille palle, denke ich, während ich aufs Meer hinaus sehe. Das muss doch gehen. Ich kann es kaum erwarten, da draußen zu sein.

Ich muss nur noch den richtigen Moment abpassen, in dem ich raus paddeln kann, ohne vom aufgewirbelten Weißwasser verschluckt zu werden.

Momente später bin ich auf dem Meer, das Brett unter mir, kämpfe mich Welle um Welle ins Lineup. Dort angekommen lasse ich meinen Blick über das Wasser wandern, um die Wellen zu lesen. Oh fuck, denke ich, holla die Waldfee. Die Wellen sind doch höher als ich dachte.

Ich lasse mir viel Zeit, bis ich meinen ersten Versuch starte. Die ersten beiden Takeoffs schlagen prompt fehl, auf der dritten Welle kann ich mich kurz behaupten. Doch ich schaffe es nicht, die Balance zu halten, gerate ins Wanken und breche ab. Die nächste Welle erwischt mich unerwartet. Wipe out. Salz im Mund, in der Nase, im Ohr. Luft schnappen, weitermachen.

Es ist nicht mein Tag. Ich bin zu weit draußen und habe die Wellen unterschätzt. Aufgeben kommt aber auch nicht in Frage. Wenigstens eine Welle will ich erwischen, eine einzige. Dann, denke ich, höre ich sofort auf. Vor dem Frühstück will ich noch einmal dieses Gefühl haben, auf dem Wasser zu stehen und den Wellenkamm abzureiten. Es gibt nichts, was damit vergleichbar ist.

Und dann sehe ich sie. Die perfekte Welle. Ich drehe das Brett zum Strand, fange an, wie blöde zu paddeln und die Welle nimmt mich mit und als ich das merke, breiten sich für den Bruchteil einer Sekunde unglaubliche Glücksgefühle in meinem Körper aus.

Ich stehe auf und merke, dass irgendetwas nicht stimmt. Diese Welle ist viel zu steil für mich und ich kriege die Kurve nicht. Und dann falle ich. Ich falle diesen ganzen verdammten Wellenberg hinunter, kopfüber, rutsche mit meinem Körper auf dem Wasser nach unten, mein Brett hinter mir her.

Ich kenne auch dieses Gefühl. Es ist nicht das erste und bestimmt nicht das letzte Mal, dass mir das passiert. Ich weiß, dass ich gleich einen Waschgang lang die Luft anhalten muss und ich sauge Sauerstoff ein, da tauche ich auch schon mit dem Kopf ins Wasser und werde kräftig durchgewirbelt.

Einmal, zweimal. Ich mache mich klein, so wie ich es gelernt habe. Die Luft wird knapp. Ein Ruck an meiner Leash zeigt mir, dass mein Surfbrett oben an der Wasseroberfläche herumgewirbelt wird.

Noch ein Ruck, dann zieht es nicht mehr an meinem Fuß und ich weiß, dass etwas ganz furchtbar schief gelaufen ist. Als ich wieder auftauche und nach Luft schnappe, sehe ich ein blaues Surfbrett in rasender Geschwindigkeit über das aufgepeitschte Wasser in Richtung Strand treiben. Mein Surfbrett.

Meine Leash ist gerissen, der Teil, der dafür verantwortlich ist, dass ich das Brett nicht verliere. Ich spüre das Klettband an meinem rechten Fuß. Ein Teil der dünnen Plastikschnur streift mein linkes Bein, als ich mich bewege. Verfluchte Scheiße.

Jetzt bin ich ohne Surfbrett hier draußen und die Wellen sind erbarmungslos. Das nächste Set kündigt sich an. Ich tauche unter den Wellen hindurch, weil sie mich sonst wieder nur durchspülen würden. Ich spüre wie sich vor jeder heran rollenden Welle ein heftiger Sog nach draußen bildet. Ohne Brett kann ich die Kraft der Wellen kaum nutzen, um mich zum Strand treiben zu lassen.

Ich bin ziemlich aufgeschmissen. Ich schwimme nämlich ziemlich alleine mitten im Meer. In einem ziemlich bewegten Meer. Vom Lineup bin ich zu weit weg, um auf mich aufmerksam zu machen.

Also beiße ich die Zähne zusammen. Ich versuche, mich zwischen den Sets Richtung Strand zu kämpfen und komme kaum vorwärts. Ich schaue nach den anderen Surfern, winke verzweifelt. Keiner von ihnen sieht mich. Ich rufe. Niemand hört mich. Schwimmen ist hier verboten, deshalb gibt es auch keinen Lifeguard on Duty.

Vom Strand aus muss es fast unmöglich sein, mich zu sehen.

Ich bin eine sehr gute Schwimmerin. Wenn es einen Sport gibt, den ich wirklich kann, dann ist es Schwimmen. Ich weiß das. Aber ich weiß jetzt auch, warum am Strand überall die warnenden roten Fahnen stehen.

Im gleichen Moment denke ich an mein Surfbrett: Hoffentlich wird es zum Strand gespült. Hoffentlich holt es jemand aus den Wellen. Es ist nur geliehen. Ich muss es wieder zurück geben. Vielleicht sieht dieser jemand mich dann.

Durchatmen, untertauchen, auftauchen, schwimmen. Schwimmen, schwimmen, untertauchen. Die Augen nach vorne, versuchen, nicht in Panik zu geraten. Das Meer ist erbarmungslos.

Langsam nähere ich mich dem Strand. Die Wellen sind hier nicht mehr so unheimlich hoch. Dafür peitschen sie über meinen Kopf hinweg. Weißwasser. Ich habe Wasser in der Nase, Wasser in den Augen. Ich sehe, wie mein Brett in Strandnähe treibt. Es ist nicht kaputt gegangen! Dann muss ich wieder untertauchen.

Das nächste, was ich nach dem Auftauchen sehe, sind zwei Männer, die mein Surfbrett aus dem Wasser geholt und an den Strand gezogen haben. Sie schauen aufs Wasser, suchen. Ich winke wieder, aber es dauert, bis sie mich sehen.

Jetzt, denke ich, kommt endlich Hilfe. Ich kann nicht mehr. Doch die beiden bleiben nur stehen und beobachten mich. Ich schwimme weiter, versuche, mich irgendwie vom Weißwasser mitreißen zu lassen. Irgendwann kann ich endlich den Boden berühren.

Endlich kann ich stehen und weiter laufen, denke ich. Mein Fuß tastet nach dem Boden. Ich habe Pech. Es gibt an diesem ganzen verdammten Strandabschnitt nur genau eine Stelle, an der das Riff bis zum Strand geht. Natürlich bin ich genau an dieser Stelle gelandet. Und ich weiß, wie scharfkantig diese Steine sein können. Also schwimme ich weiter und hoffe, dass keine Welle kommt, die mich auf die Steine drückt.

Irgendwann habe ich es geschafft.

Ich weiß nicht, wie lange es gedauert hat. Es kommt mir vor wie eine Stunde. Wahrscheinlich waren es nur 20 Minuten.

„Thanks guys“, murmele ich. „No worries“, erwidern die Retter meines Surfbretts mit australischem Akzent. Keine Ursache. Kein Grund zur Panik. Ich habe es geschafft. Ich lasse mich neben das blaue Brett auf den Sand fallen. Meine Arme schmerzen.

Salzwasser aus den Ohren schütteln und aus den Augen reiben. Durchatmen. Ich schließe die Augen. Mein Frühstück habe ich mir auf jeden Fall verdient, denke ich. Kurze Zeit später kommen die anderen aus dem Wasser. Wir bleiben noch kurz am Strand sitzen, dann schwingen wir uns auf unsere Roller und fahren zurück in unsere Villa.

Sonnenschirme am Strand in Seminyak Bali

Muscheln am Strand von Canggu Bali

Ebbe am Strand von Canggu Bali

Street Food in Canggu Bali

Bali Götterstatue

Ich liebe das Meer. Mit all seiner Kraft fasziniert es mich. Es macht mich glücklich. Wasser ist eine Naturgewalt. Was wären wir ohne Wasser? Am nächsten Tag bin ich wieder surfen gegangen. Es war ein besserer Tag, mit kleineren Wellen – Wellen wie auf dem Titelfoto dieses Artikels, das auch an einem anderen Tag entstanden ist. Ich hoffe, dass ich nie wieder in einer Situation wie dieser sein werde. Aber wenn doch, weiß ich dass ich da raus kommen kann.

In Kategorie: Indonesien, Reisegeschichten

Über den Autor

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Anna liebt das Geräusch von Regen auf einem Zeltdach, Gespräche am Lagerfeuer und Nordamerika. Sie würde einen spontanen Roadtrip jederzeit einem Tag am Pool vorziehen und ist am liebsten draußen - zum Wandern, Surfen oder Snowboarden.

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